Ellen und Fritz von Helmholtz

aus:
Anna von Helmholtz : ein Lebensbild in Briefen / hrsg. von Ellen von Siemens-Helmholtz. - Berlin : Verlag für Kulturpolitik
Bd. 1, 1929

UB-Signatur: F 6834-3-44::1


S. 123
Als er [Hermann Helmholtz] am Morgen des 24. April 1864 seine Häuslichkeit in Heidelberg erreichte, sollte er den ersten Segenskuß auf die junge Stirn seiner Tochter Ellen Ida Elisabeth drücken. Sie hatte wenige Stunden zuvor das Licht der Welt erblickt. Ihr kranker Bruder hatte ein glücklicheres Schwesterchen erhalten, indes seine eigene Lebenskraft von Sorgen umschlossen blieb.
S. 148
Am 15. Oktober 1868 wurde ein zweiter Sohn Friedrich Julius zu Heidelberg geboren, der wie eine sonnige Verheißung einzog in das Leben seiner Eltern. Friedreich und Bunsen wurden seine Paten.
S. 200
Anna H. an Hermann H., 8.10.1875
Die Freunde Friedreichs haben sich heute verabschiedet, sind doch fast zwei Wochen hier gewesen. Er hat Fritz noch untersucht, findet die Muskeln besser als früher, aber daß er in seiner Entwicklung im günstigsten Falle noch Jahre brauchen werde, ehe er anderen Kindern gleich wird, das hat er mir auf das Ausdrücklichte wiederholt. Sonst hab ich keinerlei Berührung mit der Außenwelt gehabt - begnüge mich Strümpfe anzustricken und ganze Abende zu weinen. Ich kann nicht anders. Ich finde, daß das Schicksal zu brutal ist gegen uns und muß wenigstens die Zeit des Alleinseins zum Ausweinen benutzen.
S. 236
Anna H. an Hermann H., 18.3.1880
Dieser Brief soll Dich womöglich in Spanien schon finden. Heute war ein Tag allgemeiner Vorbereitung im Hause für Ellens Einsegnungstag. Dann eine Einladung der Kaiserin, heute Abend im Weißen Saale die Generalprobe der Richterschen Tableaux zu sehen.
S. 252-253
Gemeinsam kehrten sie zurück, um als nächste der Aufgaben das Verbleiben ihres Sohnes Fritz zu entscheiden. Die historisch gewordene, schon hundertjährige Salzmannsche Erziehungsanstalt in Schnepfenthal bei Gotha wurde nach vielen Überlegungen erwählt, um den Versuch einer Trennung durchzuführen und den anlehnungsbedürftigen Knaben in eine fröhliche und gesundheitlich fördernde Gemeinschaft, nicht allzu fern von seinem Elternhause zu bringen. Gotha, 16. Oktober 1880. Mein lieber Mann! Der Abschied ist für heute überstanden; frage mich nicht wie. Der arme Junge war sehr betrübt, klammerte sich an micht und flehte mich an, ihn nicht zu verlassen. Aber es konnte ja nichts helfen, ich mußte gehen. Wir fuhren von Gotha direkt mit dem Wagen hinaus, da hielt sein Mut noch stand. Dann gingen wir in Schnepfenthal in das Haus. Der Direktor bat mich die Sache als einen Versuch anzusehen; er finde Fritz über Erwarten aussehend und antwortend; aber wenn er nicht die Überzeugung gewinnen könne, daß er in die Anstalt passe, dann könne er auch die Verantwortung nicht übernehmen. Das Irdische bekümmert mich heute nicht mehr, nur das Seelische. Ausfeld verspricht, daß gewiß jede Rücksicht genommen werde. In wenigen Tagen werde es sich ja zeigen, ob das Kind sich eingewöhne. Der Abschied vom Kinde scheint mir heute noch ganz unmöglich. Wenn der arme Friedel mich noch braucht, dann muß ich noch bleiben.

Anna.

Neue Wilhelmstraße, 20. Oktober 1880.

Mein lieber Fritz!
Ich hoffe, daß Du jetzt nicht mehr so traurig bist und bedenkst, daß wir Alle unsere Pflicht zu müssen und uns Mühe zu geben haben, brave tüchtige Menschen zu werden. Jetzt ist schon eine ganze Woche herum und es geht von Woche zu Woche schneller und ehe wir es uns versehen, wird Weihnachten herankommen und wir werden uns wiedersehen dürfen. Das nächste Mal mußt Du mir schreiben, ob Du schon einen Freund gefunden hast. Wir denken immer an Dich.
S. 275

Neue Wilhelmstr., 4. März 1884.

Liebe Ida!

Hermann hat Lust nach Glasgow und Edinburg zu fahren, woselbst er mit mir und Ellen sehr eingeladen ist. Ich bleibe jedenfalls diesseits des Ozeans. Robert scheint es wieder gut zu gehen, auch ist die Stimmung wieder gut. Gestern war sein Geburtstag. Wie Manches fällt mir immer wieder an dem Tage ein und wie oft frage ich mich, ob die paar lichten Seiten in seinem Leben, ob sein Sinn für Freundschaft und die offenbare Liebe, die er seinen Altersgenossen einflößt, jemals im Stande sind, ihn alle die stündlichen Beschwerden und Leiden vergessen zu lassen.

10. März 1884.

Ich habe Hermann gebeten, Ellen nach England und Schottland mitzunehmen und sie werden in den ersten Apriltagen via London und Manchester nach Glasgow fahren. Von dort gehen sie mit Thomsons zusammen nach Edinburgh, woselbst ,,The Tercenterary'' der Universität festlich begangen wird. Hermann ist soeben dort zum Dr. juris ernannt worden und geht als Vertreter der hiesigen Akademie der Wissenschaften. Von dort kommen sie nach Paris, wo ich sie zu erwarten gedenke. Adieu liebe Sorella, grüße mir den Franz.

Deine Anna.


S. 276
Anna H. an ihre Schwester Ida, 8.4.1884
Dann habe ich am 2. April Hermann mit Ellen nach England expediert. Morgen früh werden sie in Glasgow sein.
S. 280
Auf einem Gartenfeste bei Werner von Siemens in Charlottenburg gewann sich am Abend des 28. Mai 1884 dessen ältester Sohn Arnold Wilhelm das Jawort ihrer Tochter Ellen, den eigenen Hausstand mit ihm begründen zu wollen.
S. 290-291
Der 16. Mai 1886 brachte für Kinder und Freunde des Hauses das Fest der Silberhochzeit von Hermann und Anna von Helmholtz

Neue Wilhelmstraße, 18. Mai 1886.

Du sollst die Erste sein, liebe Ida, der ich nach dem trouble des Festes schreibe. Das ganze Fest war so zauberisch, daß ich nur den einen Wunsch noch hatte, Ihr möchtet dabei sein, liebe Geschwister. Dies war nicht möglich und so weit es mir möglich ist, will ich durch schriftliche Zeichen kund tun, wie mir ums Herz ist. Was sich nicht schildern läßt, ist die Stimmung, die Wärme, die Blumenfülle durch alle Zimmer, die Alles je Dagewesene überstieg.

Als wir am 16. Mai morgens in das Eßzimmer traten stand ein herrlich gearbeiteter bekränzter Theekessel, ein Geschenk der Söhne, vor uns und Fritz sprach selbstgedichtete Verse. Richard war angekommen, auch Hulda, die Helmholtz Tochter aus Hannover, und um 1/2 10 Uhr öffneten sich die Pforten des Saales - da war ein Myrthen- und Lorbeerhain - inmitten Ellen und ihr Bubi Hermann gleich gekleidet, Arnold als Ulan und die Söhne dahinter. Bubi überreichte uns den Silberkranz und Zweig. Alles war verwandelt, Blumen und Bronzemedaillen, Silberkörbe und Schalen, Eure herrlichen Bretter, die so schön sind, daß sie schon an sich als Kunstwerk wirken und Blumenkörbe ganz herrlicher Art, einer nach dem anderen, große gelbe Rosen - rosa LaFrance - Georginen und Orchideen - von der Waldblume an bis zum botanischen Wunder, leuchtend und herrllich! Dann kamen immer weiter märchenhafte Körbe und zahllose Bouquets, Alle so künstlerisch und schön - ich kann Dir gar nicht sagen wie schön der Saal aussah mit all dem Silbergeräth, den Menschen und dem ganzen dunklen Hain dahinter, eine wahre Augenweide. Telegramme, Briefe, Karten, Besuche kamen und gingen in ununterbrochenem Strom. Wer kam wurde zum Abend gebeten und wieder versammelte sich eine bunte Menge. Fritz erschien als Herold und führte uns Alle durch die festlich geschmückten Räume des Institutes zwischen Guirlanden hindurch in den großen Hörsaal, wo an Stelle des Katheders in der unteren Hälfte des Amphitheaters eine große Bühne aufgeschlagen war. Händels ,,Seht er kommt mit Preis gekrönt'' erklang in einem schönen vierstimmigen Chor aller unserer künstlerischen Freunde, als wir den Saal betraten. Es folgten lebende musikalische Bilder von Meyerheim und Hertel gestellt in deren Mitte eine Rococostube, Ellen als französische Watteaubäuerin mit einer Wiege und dem lieben herzigen Bubi auf dem Schoß. Sie sang ganz leise das Brahms'sche ,,Guten Abend, gute Nacht'' - Bubi lachte und wir Alle weinten, einzig schön war das. Hierauf ein etwas dithyrambischer Einakter von Hermanns Schülern, dann ein reinzendes sehr amüsantes Stück von Robert, worin ich ganz unerhört gegeißelt ward und in Gestalt der Königin, welche Ellen spielte, meine Symmetrie-Manie, meine schönsten Anstandsregeln, meine erhabensten Prinzipien unerhört kühn, dramatisch illustriert wurden. Zum Schlusse trat Robert vor und hielt einen Trinkspruch, so warm und schön und so voll Liebe und Gefühl, daß abermals die Tränenschleusen sich öffneten und wir Alle weinten und lachten und den ganzen ehrfurchtslosen Schwank vergaßen. Wagners Brautchor aus dem Lohengrin klang von der Galerie herab und wir zogen wieder hinüber ins Haus und fanden da Alles für die irdische Labung vorbereitet. Bamberger hielt eine Art von parlamentarischer Rede auf meine Verdienste, wir tranken viele Gesundheiten und die Menschen gingen erst um zwei Uhr fort. Am anderen Morgen um neun Uhr, als wir herunter kamen war das ganze Haus in Ordnung, Alles in den Schränken, Silber geputzt, Parketts gebürstet - als ob die Wichtelmännchen da gewesen wären und um neun Uhr war Colleg. Nur der süße Bubi war noch da und erfüllte unsere Herzen mit seinem Zauber. Aber tout passe, tout casse - und die Alltagsstimmung muß wieder ihren Einzug halten.

Seid innigs umarmt von Eurer Anna


S. 293-294

Baden-Baden, 4. Juli 1886.

Liebe Ida!

Falls Ihr die Zeitung lest, werdet Ihr gesehen haben, daß bei einem entsetzlichen Eisenbahnzusammenstoß bei Würzburg ,,Frau Professor von Helmholtz mit Kind und Frau Werner Siemens unverletzt waren.'' Letzteres war Ellen mit Bubi und der alten Kinderfrau, dass andere wirklich ich und wir haben Alle keinerlei Verletzung davon getragen, aber die Erinnerung an den Moment wird mich nie verlassen. Blumenüberschüttet und froh unsere Freiheit wieder zu haben, fuhren wir am 1. Juli mit der in Bayern üblichen Verspätung morgens von Kissingen ab, stiegen etliche Male um und gelangten schließlich nach der letzten Station vor Würzburg, wo wir abermals ohne ersichtlichen Grund uns verspäteten. Endlich ging es weiter, ziemlich stark bergab, ich hörte drei Notpfiffe der Lokomotive. Ehe man nur sprechen konnte, saßen wir auf dem Boden des Waggons, den kleinen Bubi mit unseren Körpern deckend - darauf Stoßen, Stampfen, Rütteln, Herabpoltern des Handgepäcks, ein großer Sprung des Wagens und wir saßen fest. An die Thür stürzend, heraus wollen, nicht können, endlich befreit durch einen Herrn, der sie aufriß, dann die Böschung hinab in einen Regen von Splittern, Steinen und Sand - hinauf in ein Kornfeld - das alles war im Nu geschehen. Ein entsetzlicher Anblick bot sich dar, die Lokomotiven ineinander gewühlt, die Waggons zertrümmert, wie ein Kartenspiel zusammengepreßt und zu einem Turm aufgeschichte, aus welchem Rauch, Qualm und Feuer herausbracht. Dann ward Alles still. Aber nun ertönte das Hülfegeschrei aus den Trümmern und man konnte sich nicht in die Nähe begeben wegen dauernder Explosion. Wir gingen sobald wir konnten um zu helfen, aber ohne Tragbahren, ohne Wasser, was konnte man helfen? Ellen gab Wein, schnitt Kleider auf und that was sie konnte, Die Hitzewar glühend und Alle jammerten vor Durst. Nach einigen Stunden kam ein Regiment Artillerie mit Ambulanz und Wasserwagen, alarmiert durch Arbeiter aus einem Steinbruch, nicht durch die Behörden der Eisenbahn. Die Ruhe und Liebenswürdigkeit der Offiziere, die Hülfsbereitschaft der Mannschaften waren groß, das Aufpacken und Abfahren der Schwerverletzten war schrecklich, auch das ging vorüber.

Anna.


S. 300

Neue Wilhelmstraße, 19. August 1886.

Liebe Ida!

Leider kann ich Deinen lieben langen Brief nur mit wenigen Zeilen beantworten, denn ich fahre morgen nach Interlaken, wo Hermann heftig erkrankt ist und nach mir verlangt. Ellen pflegt ihn und telegraphiert, es gehe besser, aber es klingt nicht sehr mutig und so fahre ich in Gottes Namen. Ich hoffe, daß ich mich unnütz ängstige, denn ich kenne die trüben und deprimierten Stimmungen des Gatten. . .

Anna.


S. 321

Neue Wilhelmstraße, 3. März 1889.

Arnold und Ellen übersiedeln Ende Mai nach Wannsee. Ob das Haus fertig wird, ob und wie man darin wohnen kann, ist uns noch völlig schleierhaft.

Letzte Änderung: 08.012004     Gabriele Dörflinger   Kontakt

Zur Inhaltsübersicht     Historia Mathematica     Homo Heidelbergensis